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Stuttgart
Putschpläne um Prinz Reuß: «Reichsbürger»-Prozess gestartet

«Reichsbürger»-Prozess in Stuttgart
Blick auf das Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim vor Prozessbeginn. Foto: Bernd Weißbrod
Der «Reichsbürger»-Prozess in Stuttgart muss klären, wie gefährlich die Männer um Prinz Reuß wirklich sind. Schon zum Auftakt wird klar: Es ist ein Verfahren, das die Justiz an ihre Grenzen bringt.

Stuttgart. Irre Verschwörungstheoretiker? Harmlose Staatskritiker? Gefährliche Putschisten? Es ist unmöglich, in den Kopf der Männer zu blicken, die da an diesem Montag im streng gesicherten Saal des Oberlandesgerichts Stuttgart hinter dickem Panzerglas sitzen. Klar ist: Sie wirken alles andere als eingeschüchtert. Mit breiter Brust lassen sie sich in Handschellen in den Saal führen. Sie tuscheln miteinander auf der Anklagebank, schmunzeln, winken ins Publikum, nur wenige von ihnen verstecken ihr Gesicht vor den Fotografen. Bei der Verlesung der Anklage schütteln sie immer wieder den Kopf - als ob sie die Vorwürfe nicht ernst nehmen könnten. Es geht um Terrorismus und Hochverrat, um «Reichsbürger», Putschpläne und Verschwörungsmythen.

Am Montag hat mit dem Terrorprozess gegen die mutmaßliche Verschwörergruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ein historisches Verfahren begonnen. Die Verdächtigen sollen einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant haben, einen Anschlag auf die Herzkammer der Demokratie. Es ist einer der größten Terrorprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik, auch Verfahren in Frankfurt und München stehen bald an.

Die Männer auf der Anklagebank, sie wirken nicht wie Terroristen, so mancher eher wie ein Versicherungsvertreter. Doch das Bild, das die Generalbundesanwaltschaft von der Gruppe zeichnet, ist düster: Da ist von einer tiefen Ablehnung der freiheitlichen Grundordnung die Rede, davon, dass man die Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gewaltsam beseitigen wollte. Die Angeklagten sollen sich verpflichtet haben zur «Reaktivierung Deutschlands», eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet haben - unter Androhung der Todesstrafe. Eine bewaffnete Gruppe sollte in den Reichstag eindringen. «Säuberungen» und «Aufräumarbeiten» sollen geplant gewesen sein. Von Feindeslisten ist die Rede, mit den Namen von Landräten, Amtsärzten, Gerichtsvollziehern.

Aber auch die Narrative des QAnon-Kults spielen in der Anklage eine bedeutende Rolle, die feste Überzeugung, dass verschwörerische Eliten die Geschicke der Welt lenken, diese den rituellen Missbrauch von Kindern in unterirdischen Tunneln praktizieren und aus den Kinderkörpern «Verjüngungskuren» gewinnen. Die Angeklagten hätten diese Verbrechen aufdecken wollen, sie hätten darauf vertraut, dass die Bevölkerung dann aufwachen und ihre Machtübernahme unterstützen werde, so trägt es die Anklagebehörde vor.

Wie gefährlich sind diese Männer wirklich? Diese Frage schwebt über den Verfahren, die sehr lange gehen dürften. In Stuttgart geht es vor allem um den militärischen Arm der Gruppe, der die Machtübernahme mit Waffengewalt hätte durchsetzen sollen. Insgesamt neun Männer, allerdings nicht Reuß selbst, müssen sich in Stammheim verantworten - dort, wo einst bereits die RAF-Spitze vor Gericht stand.

Den Männern, zwischen 40 und 60 Jahre alt, wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen und die sogenannte «Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens». Einer der Angeklagten steht zudem wegen versuchten Mordes vor Gericht - es handelt sich um den Mann, der im März 2023 bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Reutlingen mehrfach mit einem Gewehr auf Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos geschossen und dabei Beamte verletzt haben soll.

Der Prozess verheißt Spannung: Zwei der Männer sagten bereits am Montag, dass sie sich zu den Vorwürfen äußern wollen. Wann sie aussagen werden, ist noch unklar. Ein weiterer Angeklagter kündigte an, zumindest Angaben zur Person machen zu wollen. Die restlichen sechs Angeklagten wollen zunächst überhaupt keine Angaben machen.

Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß war nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia in mehreren Bundesländern und im Ausland kurz nach dem Nikolaustag 2022 bekannt geworden. Als Oberhaupt einer neuen Staatsform hätte Reuß fungieren sollen. Die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann hätte für das Ressort Justiz zuständig sein sollen. Auch Ex-Soldaten gehören zu den Beschuldigten. Laut Anklage ist schon mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von mehr als 280 militärisch organisierten Heimatschutzkompanien begonnen worden.

Der Aufbau dieser Verbände war nach Angaben der Bundesanwaltschaft bereits teils weit fortgeschritten. In zwei Fällen hätten die sogenannten Heimatschutzkompanien selbst aktiv werden können, sagte ein Vertreter der Behörde bei der Verlesung der Anklage. Innerhalb der «Kompanie 221», die für die Bereiche Tübingen und Freudenstadt in Baden-Württemberg habe zuständig sein sollen, seien etwa bereits Verantwortliche für die Rekrutierung weiteren Personals benannt worden.

In der «Reichsbürger»-Szene herrscht die Ansicht vor, das 1871 mit einem Kaiser an der Spitze gegründete historische Deutsche Reich bestehe heute noch fort. Der Fall um Prinz Reuß ist in drei Verfahren aufgesplittet - aus praktischen Gründen und aufgrund der schieren Anzahl der Verdächtigen. In Frankfurt sind ab dem 21. Mai die mutmaßlichen Rädelsführer, darunter Reuß, angeklagt. In München stehen ab dem 18. Juni die übrigen mutmaßlichen Mitglieder vor Gericht.

Einige der insgesamt 22 Verteidiger in dem Stuttgarter Verfahren kritisierten am Montag die Aufsplittung des Falls auf die drei Oberlandesgerichte. Sie beantragten die Einstellung oder Aussetzung des Stuttgarter Verfahrens und eine Zusammenlegung der drei Prozesse. Eine effektive Strafverteidigung sei nicht möglich, weil die Erkenntnisse in einem Prozess nur schwer in die anderen einließen könnten. Die Bundesanwaltschaft sei in allen drei Verfahren stets präsent, den Verteidigern sei dies jedoch schon logistisch nicht möglich, so die Argumentation - das verstoße gegen den «Grundsatz der Waffengleichheit». Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen wies den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurück. Die Forderung nach einer Zusammenlegung der drei Prozesse werde zurückgestellt.

Ansonsten ging es bereits zum Prozessauftakt recht kleinteilig in die Details - etwa ging es länger um die Sitzordnung im Saal und um die Frage, wie den Angeklagten in der Haft Informationen wie Audiomitschnitte zur Verfügung gestellt werden könnten. Kommende Woche soll der Prozess fortgesetzt werden. Das Gericht hat Termine bis 2025 angesetzt - aus Sicht von Beobachtern dürfte das nicht reichen.

© dpa-infocom, dpa:240428-99-842021/5